In der Welt des Surfsports gibt es wenige Geschichten, die für uns so inspirierend sind wie die von Ben Neumann. Als kleiner Junge verlor Ben sein Augenlicht durch einen Gendefekt, doch statt sich von dieser Herausforderung entmutigen zu lassen, machte er weiter – und zwar mit großem Erfolg. Heute ist der 19-Jährige nicht nur als blinder Surfer bekannt, sondern hat auch bereits Bronze im Parasurfen gewonnen und ist international ständig unterwegs. Stets begleitet von seinem gelben Helm mit drei schwarzen Punkten surft er Wellen mit beeindruckender Präzision und Geschicklichkeit. Dass er dabei – zumindest mit seinen Augen – nichts sieht, sieht man ihm von außen nicht an.
Und nicht nur das: Neben dem Surfen hat Ben eine Leidenschaft für Yoga entwickelt. Eine Praxis, die ihm hilft, Körper und Geist in Einklang zu bringen. Fast täglich praktiziert er auf seiner hejhej-mat. Wir sind beeindruckt von seiner bemerkenswerten Journey und freuen uns sehr, dass Vera aus dem hejhej-team ihm ein paar Fragen stellen darf.
Lieber Ben, magst du dich kurz vorstellen und erzählen, wie du zu Surfen und Yoga gekommen bist?
Ich lebe in Garmisch-Partenkirchen, einem Ort in den bayerischen Alpen und vermutlich der letzte Ort, der einem zum Thema Wellenreiten einfällt. Sport und Bewegung hat mir immer schon viel Freude bereitet und somit war es klar, dass wir als Familie auch nach meiner Erblindung Wege finden mussten, mich weiter an verschiedenen Sportarten teilhaben zu lassen. Da meine Eltern immer schon Yoga praktiziert haben, bin ich bereits als Kind in eine Kinder-Yoga-Gruppe gegangen. Als mein Sehvermögen dann rasch zurückging, bin ich in die Erwachsenengruppe meiner Eltern gewechselt. Heute ist Yoga ein fester Bestandteil meiner Trainingswoche.
Als ich mit dem Surfen begonnen habe, war ich schon gesetzlich blind, d.h. mein Sehvermögen kleiner 2 Prozent. Im Alter von 13 haben mir meine Eltern einen Surfkurs und ein paar Flugminuten in der Jochen Schweizer Arena, einer Münchner Sport- und Freizeithalle zum Geburtstag geschenkt. Sowohl die Fallschirmflug-Simulation im Flugturm als auch das Surfen auf der stehenden Indoor-Welle haben gleich erstaunlich gut geklappt und vor allem Spaß gemacht. Wasser ist mein Element, somit hat mich der Surf-Virus nicht mehr losgelassen.
Wie stehen Yoga und Surfen für dich in Beziehung?
Meine Yoga Routine unterstützt mich im Surfen in vielerlei Hinsicht: In Ergänzung zu meinem Krafttraining im Gym stärke ich durch Yoga meine Core-Muskulatur, verbessere meine Flexibilität und schärfe meine Balance. Atemtechniken und Atemübungen helfen mir, in schwerem Wellengang auch mal länger unter Wasser durchgespült zu werden, ohne in Panik zu geraten. Zusätzlich habe ich das Gefühl, dass mir Yoga die mentale Stärke verleiht, beim Surfen in anspruchsvollen Bedingungen richtige Entscheidungen zu treffen.
Für viele Menschen ist das Meer mit seiner mächtigen Präsenz überwältigend. Wie nimmst du das Meer wahr? Wie würdest du deine Verbindung zu Wasser und Wellen beschreiben?
Wasser war wie gesagt immer schon mein Element. Beim Babyschwimmen war ich schwer davon zu überzeugen, dass die halbe Stunde nun vorbei ist. Seit meiner Erblindung ist Wasser auf einer neuen Ebene ein angenehmer Ort für mich. Im Wasser ist mir nichts im Weg, über das ich stolpern kann. Wasser spricht die mir verbliebenen Sinne an. Man muss nicht sehen, um das tosende Meer zu hören, das Salz zu schmecken und die Kraft der Wellen in all ihrer natürlichen Schönheit zu spüren.
Auf deinem Instagram-Profil ist der Satz sehr präsent: “Blindness is seeing with your imagination" – Magst du teilen, was der Satz für dich konkret bedeutet?
Ich lebe in einer Welt ohne Bilder. Dennoch empfinde ich das nicht als Einschränkung meiner Wahrnehmung, vielmehr schärft dies meine anderen Sinne und fördert meine Vorstellungskraft. Damit "sehe" ich die Wellen und im übertragenen Sinne die Welt, auf eine einzigartige und intuitive Weise.
Gab es spezielle Momente oder Erfahrungen, in denen du besonders gespürt hast, wie stark dein Vertrauen in dich selbst und deine Fähigkeiten war?
Der Mensch ist ein visuelles Wesen und so gestaltet er auch seine Welt. Damit bringt Erblindung jeden Tag aufs Neue unzählige Herausforderungen mit sich, die es zu bewältigen gilt. Die unermüdliche Unterstützung meiner Familie hat mir geholfen, erst kleine und dann immer größere Dinge zu meistern. Entsprechend meinem Motto: No Limits, befinde ich mich auf einem Pfad mit Höhen und Tiefen. Die Höhen sorgen dafür, dass nächste Tief zu überwinden. Das Wellenreiten und das Skifahren in einer Art und Weise, die man allgemein für einen Blinden nicht für möglich hält, stärkt natürlich das Selbstvertrauen.
Wie hat sich dein Leben insgesamt verändert, seit du mit Surfen und Yoga begonnen hast? Gibt es Aspekte, die du besonders schätzt oder die dir besonders wichtig geworden sind?
Surfen ist für mich vieles. Es ist Sport, Spaß, Leidenschaft, ein Lifestyle, aber auch Therapie. Kaum etwas gibt mir so viel Lebenskraft wie das Surfen. Yoga unterstützt mich dabei.
Was würdest du aus deinen bisherigen Erfahrungen anderen Menschen gern mitgeben?
Ich durfte schon früh erfahren, dass das Leben manchmal anders spielt als vorgesehen. Natürlich ist es gut, langfristige Ziele zu haben, jedoch kann ich nur jedem empfehlen, die kleinen Dinge am Wegesrand bewusst wahrzunehmen und zu schätzen – um aus jedem Tag das Beste zu machen.
Und natürlich: No Limits !
Vielen Dank für das tolle und inspirierende Gespräch, lieber Ben.
Fotocredits: @seatechfoto
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