Hier möchten wir dir gerne einen Gastartikel von Katja Sandschneider mit dir teilen. Wir haben uns sehr gefreut, anlässlig unseres neuen Youtube Kanals auch noch einige wichtige Zeilen von Katja mit dir zu teilen. Anschließend kannst du gerne zu Youtube wechseln und sie einmal als Yogalehrerin in Aktion sehen. Wir sind sehr inspiriert von Katja. Sie lebt seit ihrer Geburt mit einer inkompletten Querschnittlähmung. Seit 2014 unterrichtet sie in Berlin barrierefreies Yoga für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Mittlerweile finden die Stunden auch online statt und sind somit auch für Menschen außerhalb Berlins zugänglich – du findest sie unter: YOGA barrierefrei. Katja ist regelmäßig Referentin bei Konferenzen zum Thema Inklusion und hat einen Lehrauftrag an der Medical School Berlin, wo sie Heilpädagog:innen in barrierefreiem Yoga unterrichtet. Das Thema Yoga für Menschen mit Behinderung liegt uns sehr am Herzen. Wenn du dich auch dafür interessierst, haben wir noch einen weiteren Artikel dazu von Lena Braun, sie geht v.a. auf die medizinische Sicht des Themas ein und hat ein paar Asanas für dich beschrieben.
Wir wünschen dir ganz viel Spaß beim Lesen dieser folgenden inspirierenden Zeilen von Katja!
Barrierefreies Yoga
Ist Yoga mit gelähmtem Bein und Orthese möglich? Wie können Asanas dafür abgewandelt werden? Kann ich überhaupt mitmachen? Diese Fragen stellte ich mir vor meinem ersten Besuch einer Yoga-Stunde und war selbst erstaunt: Ja, man kann wunderbar Yoga mit Orthese machen und die Asana-Variationen sind mit ein bisschen Kreativität ganz leicht zu finden. Gerade wenn der Körper durch Krankheit oder Behinderung aus der Balance geraten ist, kann Yoga viel Positives bewirken. So gestärkt und gleichzeitig entspannt wie nach meiner ersten Yoga-Stunde habe ich mich selten gefühlt. Ich wollte sehr bald viel mehr davon und begann wenig später mit meiner täglichen Yoga-Praxis zu Hause, die meine Rückenschmerzen enorm verbessert hat – und immer noch tut. Denn was mit viel Neugier und auf der Suche nach mehr körperlichem Wohlbefinden begann, endete in einer Passion und einem neuen Lebensweg für mehr Inklusion und barrierefreies Yoga!
Mein Yoga-Weg
Ich hatte viel Glück mit meinen Lehrerinnen und Lehrern in der Aus- und diversen Fortbildungen. Alle haben mich motiviert und unterstützt und mir nie das Gefühl gegeben, dass ich eine weniger gute Yogalehrerin sein werde, nur weil ich bestimmte Asanas nicht ausführen kann. Im Gegenteil: Mein Lehrer in Berlin, Stefan Datt, betonte, als ich ihm von meinen eigenen Zweifeln erzählte, dass es im Yoga um so viel mehr gehe, als den Kopfstand zu können. Es gehe darum, den Menschen wieder die Verbindung zu sich selbst, zu ihrem Körper, ihrem Atem und der allumfassenden Energie zu zeigen. Asanas vormachen zu können, nimmt dabei tatsächlich eine eher unwichtige Rolle ein. Ich habe dann schnell gelernt, welche Hinweise und Anleitungen für die Asanas wichtig sind, um Teilnehmende mit meinen Worten in die Stellungen hinein zu führen, anstatt sie vorzumachen.
Den meisten Spaß und die größten Erfolgserlebnisse hatte ich während meiner eigenen Ausbildung, wenn wir neue Asanas lernten, die ich standardmäßig nicht ausführen konnte. Worauf kommt es bei der Asana an? Was wollen wir damit erreichen? Welche Hilfsmittel kann ich nutzen? Wie kann ich sie abwandeln? Ich war überzeugt, eine Variation für mich zu finden und spürte, wie mich diese Überzeugung antrieb und schließlich (fast) immer eine Möglichkeit finden ließ.
Aber natürlich gehörte zu dem Prozess auch dazu, frustriert und traurig zu sein. Sich mit den eigenen körperlichen Grenzen auseinander zu setzen, ist nie leicht. Gerade wenn wir sie viel schneller und öfter spüren als andere Personen. Was mir half, war ein Umdenken: Grenzen als Teil der wichtigen Kommunikation zwischen unserem Körper und Geist zu verstehen und genau hinzuhören; wegzukommen von einer negativen Ablehnungshaltung, hin zu mehr Verständnis und einem gewissen Gleichmut, wenn ich Asanas nicht so ausführen konnte, wie ich wollte. Das begleitet mich bis heute, auch in meinem Unterricht: Den Fokus stets darauf zu lenken, was geht und was Teilnehmende können, anstatt darauf, was nicht geht. Alleine diese Einstellung hilft enorm!
Jede:r kann Yoga machen
In den Medien wird Yoga – vor allem Asanas – mit Fotos von schlanken, gesunden und jungen Menschen beworben, sodass der Großteil unserer Mitmenschen glaubt, diesem Bild nicht gerecht werden zu können und Yoga nichts für sie/ihn ist. Die erste Herausforderung ist also, die Mauer in den Köpfen vieler Menschen und den Trugschluss, dass man gesund, flexibel und fit sein muss, um Yoga zu praktizieren, niederzureißen. So habe ich die ersten Monate bzw. Jahre meiner Selbständigkeit mit YOGA barrierefrei hauptsächlich kommuniziert – telefonisch, per E-Mail, in Interviews und persönlichen Gesprächen versucht, Menschen davon zu überzeugen, dass man auch im Rollstuhl sitzend Yoga machen kann. Die Neugier war bei vielen da, allerdings fehlte oft der Mut, etwas Neues in die Tat umzusetzen. Mittlerweile gibt es – gerade auch in den Sozialen Medien – viele Positivbeispiele und vor allem Fotos und Videos, die zeigen, wie barrierefreies Yoga aussehen kann. Und das macht Mut und senkt Hemmschwellen! Daher danke ich hejhej herzlich für die Möglichkeit, meine Sessions auch per Video zu verbreiten und hoffe, dass es viele Menschen den Zugang zu barrierefreies Yoga erleichtert.
Der Gedanke des Yoga im gesellschaftlichen Kontext
Yoga bedeutet Einheit und Harmonie, mit und in uns, mit unseren Mitmenschen und dem Universum. Warum aber wird bisher ein großer Teil unserer Mitmenschen mit Behinderung oft von der Yoga Praxis ausgeschlossen, sei es bewusst oder unbewusst? Mit der Yoga Philosophie im Hinterkopf ist es für mich ganz selbstverständlich und notwendig, ALLEN Menschen den Zugang zu Yoga zu ermöglichen. Denn nur dann ist es möglich, den Gedanken des Yoga auch in unsere Gesellschaft hinauszutragen, die zukünftig hoffentlich noch viel inklusiver und toleranter sein wird. Natürlich ist das ein hohes Ziel, aber selbst kleine Schritte auf dem Weg dahin, sind wichtig und notwendig. Es freut mich daher immer wieder, wenn ich neue „Nischen“-Angebote entdecke, die Menschen einbeziehen, die bisher von der Mainstream-Yogaszene eher ausgeschlossen wurden, wie z. B. Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen aus anderen Kulturen in unserem Land oder Kinder und Jugendliche in Schulprojekten.
Online-Klassen als Chance für mehr Barrierefreiheit
Dass die Pandemie uns vor viele Probleme und Herausforderungen gestellt hat, ist unbestritten. Auch die Yoga-Szene musste sich neu sortieren und mit Online-Klassen behelfen. Was als Notlösung während der Lockdown-Phasen begann, entpuppte sich bald als Chance: Menschen mit Behinderung aus ganz Deutschland, die an ihrem Wohnort kein barrierefreies Yoga Angebot haben, konnten plötzlich an meinen Kursen teilnehmen. Auch Schüler:innen aus Berlin, die zum Studio bis zu einer Stunde Fahrtweg auf sich nehmen mussten, waren nun erleichtert, in ihrem Wohnzimmer bleiben und ihre Kräfte anderweitig einsetzen zu können.
Mittlerweile kommt mehr als die Hälfte meiner Kursteilnehmenden aus anderen Teilen Deutschlands, sodass sich die Zoom-Klassen mittlerweile zum regulären Angebot entwickeln haben. Das Kennenlernen vor der ersten Gruppenstunde erfolgt entweder telefonisch oder wenn gewünscht mit einer Einzelstunde über Zoom. Yoga-Hilfsmittel sind schnell auch im Haushalt gefunden: ein Gürtel oder Schal statt eines Gurtes, ein Sofa-Kissen oder eine gerollte Decke statt eines Bolsters, ein Buch oder Tupper-Ware statt eines Blocks. Genauso wie in den Präsenz-Stunden bei YOGA barrierefrei gilt auch online: kreativ mit den vorhandenen Ressourcen umgehen.
Neben der großen Chance, Yoga noch mehr Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen, gibt es im barrierefreien Yoga Online natürlich auch Herausforderungen. So kann ich z. B. keine Hilfestellungen geben, sodass der Wechsel von einer zur nächsten Asana zum Teil anstrengender und zeitintensiver für manche Teilnehmenden ist. Gleichzeitig habe ich ihre Körperstellungen nicht so gut und ganzheitlich im Blick wie im Studio. Das birgt natürlich vor allem die Gefahr vor Verletzungen. Daher betone ich – noch mehr als sonst –, die Wahrnehmung auf das eigene Wohlbefinden und die Signale des Körpers zu lenken. Die Teilnehmenden kennen ihren Körper am besten, spüren, wenn etwas nicht funktioniert, melden sich dann zu Wort und wir finden gemeinsam eine andere Variation.
Sonnengruß auf dem Stuhl – barrierefreies Online Video
Wie Yoga meine Schüler:innen positiv verändert
Einige meiner Schüler:innen sitzen im Rollstuhl, andere brauchen einen Rollator oder Unterarmstützen, sie haben Amputationen, sind nach einem Schlaganfall oder Rückenmarksinfarkt gelähmt, kleinwüchsig, haben Glasknochen oder Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson. Aber eines haben sie gemeinsam: Sie praktizieren regelmäßig Yoga und konnten damit ihr Wohlbefinden – körperlich und geistig – deutlich steigern. So freute sich z. B. ein Teilnehmer nach einigen Monaten, endlich wieder mit den Händen zu seinen Füßen zu kommen und sich die Schuhe selbst binden zu können. Eine andere Teilnehmerin im E-Rollstuhl berichtete nach ihrer ersten Yoga-Stunde, dass sie sich beim Einfahren in ihr Auto über die Rampe fast den Kopf am Autodach gestoßen habe, da sie plötzlich um einige Zentimeter größer und aufrechter war. Aber die Wirkungen beschränken sich nicht nur auf den Körper: Viele fühlen sich auch ausgeglichener und glücklicher.
Eine große Rolle spielt dabei, sich selbst bei Schmerzen oder Unwohlsein mit der Yoga-Praxis helfen zu können und sich so weniger der eigenen Behinderung oder Krankheit ausgeliefert zu fühlen. Gerade bei plötzlichen körperlichen Verschlechterungen oder nach Unfällen dominiert das Gefühl, nicht in Kontrolle und machtlos zu sein. Yoga kann dabei helfen, zumindest ein Stück weit diese Kontrolle wieder zu spüren und das Vertrauen und die Verbindung zum eigenen Körper wieder zurück zu gewinnen.
Mein persönliches Ziel
Einer meiner Schlüsselmomente auf dem Weg zur Yogalehrerin war die Erkenntnis bzw. der starke Wunsch, meine Behinderung in etwas Positives umzukehren, nicht nur für mich, sondern auch für andere. Daher wurde mir sofort klar, dass ich Menschen mit körperlichen Einschränkungen unterrichten möchte. Ich möchte sie inspirieren und ihnen Mut geben, ihren Körper zu feiern, ihn zu spüren und mit ihm zu sein, auch wenn er nicht immer so ist, wie sie es sich wünschen. Ich möchte ihnen zeigen, wie sich Entspannung und Wohlbefinden anfühlt, wenn sie den inneren Widerstand gegen die eigene Behinderung aufgeben und sich in den Körper, in den Atem hinein entspannen, zumindest für einen Moment. Ich habe dieses Gefühl selbst so oft in meiner Yoga-Praxis erleben dürfen und es ist einfach zu schön, um es nicht zu teilen.
Zu Beginn meiner Yoga-Ausbildung bin ich auf folgenden Spruch aufmerksam geworden, der das alles auf den Punkt bringt: „Legt das Leben dir Steine in den Weg, bau was Schönes draus.“
Vielen Dank Katja für diesen wertvollen Artikel über barrierefreies Yoga. Es freut uns sehr, dass wir gemeinsam an deiner Vision arbeiten können. Schaut unbedingt das dazugehörige Youtube Video an oder macht direkt mal in einer Online Live Yoga Klasse auf www.yoga-barrierefrei.de mit!